Medikamenten-Stafette
von Ephraim Kishon
veröffentlicht: Februar 16, 2021

DoktorUm auch einmal etwas Konstruktives zu leisten, wollen wir uns jetzt mit den neuesten Errungenschaften der zeitgenössischen Medizin befassen.

Es läßt sich kaum leugnen, daß beispielsweise dank der sogenannten Antibiotika sehr viele Patienten, die noch vor wenigen Jahren gestorben wären, heute am Leben bleiben und daß andererseits sehr viele Patienten, die noch vor wenigen Jahren am Leben geblieben wären … aber wir wollen ja konstruktiv sein.

Es begann im Stiegenhaus. Plötzlich fühlte ich ein leichtes Jucken an der linken Ohrmuschel. Meine Frau ruhte nicht eher, als bis ich einen Arzt aufsuchte. Man kann, so sagte sie, in diesen Dingen gar nicht vorsichtig genug sein.

Der Arzt kroch in mein Ohr, tat sich dort etwa eine halbe Stunde lang um, kam wieder zum Vorschein und gab mir bekannt, daß ich offenbar ein leichtes Jucken in der linken Ohrmuschel verspürte.

„Nehmen Sie sechs Penicillin-Tabletten“, sagte er. „Das wird Ihnen gleich beide Ohren säubern.“

Ich schluckte die Tabletten. Zwei Tage später war das Jucken vergangen, und meine linke Ohrmuschel fühlte sich wie neugeboren. Das einzige, was meine Freude ein wenig trübte, waren die roten Flecken auf meinem Bauch, deren Jucken mich beinahe wahnsinnig machte.

Unverzüglich suchte ich einen Spezialisten auf; er wußte nach einem kurzen Blick sofort Bescheid.

„Manche Leute vertragen kein Penicillin und bekommen davon einen allergischen Ausschlag. Seien Sie unbesorgt. Zwölf Aureomycin-Pillen – und in ein paar Tagen ist alles wieder gut.“ Das Aureomycin übte die erwünschte Wirkung: die Flecken verschwanden. Es übte auch eine unerwünschte Wirkung: meine Knie schwollen an. Das Fieber stieg stündlich. Mühsam schleppte ich mich zum Spezialisten.

„Diese Erscheinungen sind uns nicht ganz unbekannt“, tröstete er mich. „Sie gehen häufig mit der Heilwirkung des Aureomycins Hand in Hand.“

Er gab mir ein Rezept für 32 Terramycin-Tabletten. Sie wirkten Wunder. Das Fieber fiel, und meine Knie schwollen ab. Der Spezialist, den wir an mein Krankenlager beriefen, stellte fest, daß der mörderische Schmerz in meinen Nieren eine Folge des Terramycins war, und ich sollte das nicht unterschätzen. Nieren sind schließlich Nieren.

Eine geprüfte Krankenschwester verabreichte mir 64 Streptomycin-Injektionen, von denen die Bakterienkulturen in meinem Inneren restlos vernichtet wurden.

Die zahlreichen Untersuchungen und Tests, die in den zahlreichen Laboratorien der modern eingerichteten Klinik an mir vorgenommen wurden, ergaben eindeutig, daß zwar in meinem ganzen Körper keine einzige lebende Mikrobe mehr existierte, daß aber auch meine Muskeln und Nervenstränge das Schicksal der Mikroben geteilt hatten. Nur ein extrastarker Chloromycin-Schock konnte mein Leben noch retten.

Ich bekam einen extrastarken Chloromycin-Schock.

Meine Verehrer strömten in hellen Scharen zum Begräbnis, und viele Müßiggänger schlossen sich ihnen an. In seiner ergreifenden Grabrede kam der Rabbiner auch auf den heroischen Kampf zu sprechen, den die Medizin gegen meinen von Krankheit zerrütteten Organismus geführt und leider verloren hatte. Es ist wirklich ein Jammer, daß ich so jung sterben mußte. Erst in der Hölle fiel mir ein, daß jenes Jucken in meiner Ohrmuschel von einem Moskitostich herrührte.

(aus: Ephraim Kishon, Arche Noah – Touristenklasse, Langen-Müller Verlag, München-Wien 1983)

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